Willst du mit mir gehen? Streitthema Fallout 76

Es ist doch zum Schreien. Da freut man sich auf ein neues Fallout-Spiel und auf einmal entpuppt sich das ersehnte Juwel als hässlicher Kothaufen. Als Multiplayer-Titel. Fallout 76 scheint in der Fangemeinde verrufen zu sein, noch bevor die Server überhaupt für die Spieler geöffnet haben. Doch halt, in der ganzen Fangemeinde? Wohl kaum. Denn je nachdem, welche Plattform man besucht, erhält man den Eindruck, dass das Spiel die Gemeinde spaltet. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Was ist dran am Problemfall Multiplayer und ist es wirklich nötig, »Spieler Nummer Eins« zu retten?

Vielleicht hätte es einen leichteren Einstieg in meine Kolumne gegebenen. Ein einfaches Thema. Etwas Nettes. Etwas, das alle mögen. Und doch habe ich mich für die eine Sache entschieden, die ich selbst liebe wie ich sie hasse: Multiplayer.
Als ich jünger war, kannte ich den Mehrspieler-Modus nur durch Konsolen. Oder LAN-Partys, zu denen ich nie gegangen bin, weil ich niemals meinen heiligen Computer vom heimischen Schreibtisch abgebaut hätte. Als ich älter wurde und das Internet für mich entdeckte, sah das plötzlich anders aus. Eigentlich war ich gern für mich allein, aber ich war auch neugierig. So suchtete ich mich in meinem ersten MMORPG fest, lernte neue Menschen kennen, die auch nach über zehn Jahren noch immer zu meinem engsten Freundeskreis gehören, und musste mir eingestehen, dass es manchmal sehr viel Spaß macht, gemeinsam Blödsinn anzustellen.

Doch das war etwas anderes.

So ein MMORPG, das spielt man zusammen. Das sagt ja schon der Name. Multiplayer und Singleplayer, das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich einmal Gefallen daran finden würde, eine Brücke zwischen diesen beiden Ufern zu schlagen. So habe ich damals den oben erwähnten Kothaufen gesehen, als ich gemerkt habe, dass ich bei Mass Effect 3 nicht alle Punkte für das beste Ende im Singleplayer sammeln konnte. Das wurde irgendwann geändert und unter’m Strich war es auch egal, ob nun grün, rot oder blau. Die Empörung in mir ist jedoch geblieben.

Salz und Popcorn

Nun haben wir 2018. Wenn ich durch wütende Kommentare oder Foreneinträge zum Thema Multiplayer blättere, fühle ich mich manchmal zurückversetzt in mein altes Ich, das seinen Computer nicht abbauen möchte. Vor allem nach der Präsentation von Fallout 76 auf der E3 habe ich so viel Hass gelesen, dass mir nicht selten der Atem stockte.

Ja, ich verstehe euch.
Ja, ich kann eure Befürchtungen nachvollziehen.

Auch ich liebe Fallout. Und ihr glaubt gar nicht, wie viel ich diesem Franchise verdanke. Ich liebe es wirklich. Aber gottverdammt, könnte ihr einfach mal aufhören, kein gutes Haar an einer Sache zu lassen, weil sie euch nicht gefällt? Niemand mag Miesepeter. Das ist wie mit gesalzenem Popcorn. Mir schmeckt es nicht. Der Gedanke daran, dass jemand Salz Zucker bevorzugt, ist mir suspekt. Was sind das bloß für Menschen? Dennoch hat gesalzenes Popcorn seine Berechtigung und wer bin ich, um über den Geschmack anderer Genießer zu urteilen?

Zugegebenen, vielleicht ist der Vergleich etwas abwegig, aber er trifft den Kern (oder eher das Korn) der Sache. Denn es geht um Geschmack und es geht darum, wie weit ich als Spieler bereit bin, jemanden Freude einzugestehen, auch wenn es mich selbst ausschließt.


Im Zuge von Fallout 76 habe ich oft so viel Schlechtes über The Elder Scrolls Online gelesen. Das sei doch der eindeutige Beweis, dass es nicht funktioniere. Dass sie das nicht können. Und überhaupt ist ZeniMax schuld. Nun, ich oute mich: Ich spiele sehr gern The Elder Scrolls Online. Zwar bin ich erst seit Summerset richtig dabei, aber ich verbringe gern meine Zeit im endlosen Questdschungel. Die vierhundert Member meiner Gilde auch. Und die tausend anderen Spieler, die ich jeden Tag auf den Servern antreffe, auch.

Haben die denn alle keinen Geschmack?

Sind wir alle verblödet, weil wir Spaß an einem MMO haben, dass seinen Ursprung im Singleplayer hat? Was ist bloß falsch mit uns? Wir sind doch nicht etwa die, die salziges Popcorn mögen?

Pray for Player One?

Nein, ich ziehe mir den Schuh nicht an, ein Franchise zu Grabe getragen zu haben, nur weil ich mich darauf freue, das Ödland mit meinen Freunden zu durchstreifen. Ein Weltuntergangsszenario ist völlig übertrieben. Im Fall von Fallout 76 ist es kein Umschwenken, sondern nur ein Ausflug in ein anderes Genre. Natürlich ist es schade, wenn ich mich als Spieler nicht dafür begeistern kann. Und natürlich kann es sich noch immer als Kothaufen entpuppen. Ich rechne damit, dass Fallout 76 sein wird, was es sein soll: Ein spaßiges Überleben. Kurzweilig, anspruchslose Questen und mit Sicherheit eine Handvoll Idioten auf dem Server, egal welchem mich das Spiel zuteilt.
Es schockt mich, dass Spieler, die sich als Fans der Serie bezeichnen, derselben den Untergang und das Scheitern wünschen. Ist es wirklich der Multiplayer, der das in euch hervorruft? Das Kind, das in der Ecke steht, weil es nicht mitspielen darf? Oder ist es schlichtweg pure Boshaftigkeit?

Früher dachte ich, es liegt am Alter. Ich war jung und habe viele Dinge abgelehnt, weil ich sie nicht kannte. Multiplayer. Komisch. Brauche ich nicht. Braucht niemand. Mit etwas Lebenserfahrung hat sich das verwachsen. Ich bin nicht der Nabel der Welt.
Natürlich hätte auch ich mich über einen neuen Singleplayer-Teil von Fallout gefreut, aber das bedeutet nicht, dass ich Fallout 76 keine Chance gebe. Es ist etwas anderes, etwas Eigenes. Dass hinter der ganzen Sache ein wirtschaftliches Interesse steckt, ist mir bewusst. Aber sind wir doch mal ehrlich: Die Gaming-Branche ist genauso raffgierig wie jedes andere Geschäftsfeld. Bedeutet das nun, dass »Spieler Nummer Eins« sterben wird?

Nein.

Warum sollte er? Wie kommt man überhaupt auf den Gedanken?

Keine rosarote Brille

Natürlich sollte man skeptisch sein. Nicht die Katze im Sack kaufen. Nur für etwas Geld ausgeben, dass es einem wirklich wert ist. Es ist richtig zu sagen, dass wir Kothaufen vorgesetzt bekommen, wenn wir den Publishern blind das Geld in den Rachen werfen. Da bin ich ganz bei euch, liebe Popcornverweigerer. Denn das ist tatsächlich ein Problem unserer Zeit, vielleicht sogar das größte.
Dennoch wünsche ich mir mehr Gelassenheit. Ein Zulassen von Neuem. Vielleicht sogar ein freundliches Gesicht, anstatt einer Wutrede, wenn jemand offen zugibt, dass er Gefallen an einem polarisierenden Spiel findet. Wir wollen doch alle nur spielen. Es ist eine Leidenschaft, die uns verbindet. Ein Hobby, das niemals stillsteht, sondern sich stetig weiterentwickelt.

So wie wir.
Oder zumindest sollten wir das.

Die Frau mit Tausend Namen. Similicious. Simi. Lily Ashby. Zockerin aus Leidenschaft seit 1993. Seitdem hat sie nicht nur Kultur- und Geschichtswissenschaften eingehend studiert, sondern auch die Videospiellandschaft. Simi ist Hauptschreiberling und Obertroll der Brückentroll Crew.

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